laut.de-Kritik

Lieder vom Drang, sich selbst zu zerstören und zu finden.

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Drangsal sind nun drei: Max Gruber hat nach einer Sinnkrise den Solo-Act Drangsal verabschiedet. Entgegen dem sperrigen wie sagenhaft arty Albumtitel "Aus Keiner Meiner Brücken Die In Asche Liegen Ist Je Ein Phönix Emporgestiegen" soll nun die Band Drangsal künstlerisch hochfliegen.

Zusammen mit seinen neuen Mitmusikern Lukas Korn (Produzent und Gitarrist in der Band Lyschko) und Marvin Holley (studierter Jazz-Musiker und Komponist), hat Gruber seinen fiebrigen Synth-Pop nun (weitgehend) gegen fließenden Akustikgitarrensound getauscht. Dazu kommen Orgel, Klavinet und Cembalo, Xylophon, Violinen und Celli sowie Querflöten und Saxophone, die den gewaltigen künstlerischen Anspruch musikalisch begleiten.

Die Lyrics, mal auf deutsch, mal auf englisch, künden von schweren Themen wie Selbstentfremdung, Stillstand und Sinnfindung. Ganz so schwermütig wie das nun klingt, ist es dann aber doch nicht, denn unter den 17 neuen Tracks finden sich auch wieder treibende Beats zwischen Disco und Depritanz wie in "Bergab", in dem leidend gesungen wird: "Aus Traum wird Trauma".

In "Ich hab von der Musik geträumt" geht es dann wieder zurück zur zarten Ballade zwischen Rio Reiser, Blumfeld und Tocotronic – wobei deren Genialität zu Sloganreife hier ein bisschen zur Wortspielehölle wird wie im Titel "Die Satanischen Fersen". Man weiß beim Hören deshalb nicht so genau, was Gruber hier geritten hat: Neuerfindung oder Nuancierung des Bisherigen?

Wahrscheinlich beides, und so werden diese vielfältigen und verspielten Songs Fans spalten. Pulsierendes wechselt sich hier mit Pathetischem ab, so dass das Album als Ganzes schwer zu fassen ist. Wir finden darauf unter anderem: Jazzigen Pop ("Wheelgreaser") wie einst bei Prefab Sprout, hymnischen Funk ("Pervert The Source") oder auch ein umarmendes großes Pop-Duett wie in "Mein Mo(nu)ment" zusammen mit Sophia Blenda, Sängerin der Band Culk.

Es sind letztendlich Lieder vom Drang, sich selbst zu zerstören und zu finden. Ein schwer zu fasendes Album, das oft an seinen eigenen Ambitionen scheitert, aber oft auch aus seiner Asche einen Phönix emporsteigen lässt.

Trackliste

  1. 1. Love Will See Us Through This
  2. 2. Bergab
  3. 3. Die Bestie mit dem brennenden Schweif
  4. 4. Ich hab von der Musik geträumt
  5. 5. Die satanischen Fersen
  6. 6. Mein Eid
  7. 7. Pervert The Source
  8. 8. FKA M & M 1
  9. 9. Wheelgreaser
  10. 10. Hab Gnade!
  11. 11. Funke & Benzin
  12. 12. Your Fears Are Well-Founded
  13. 13. Mein Mo(nu)ment (feat. Sophia Blenda)
  14. 14. Inkomplett
  15. 15. Rosa
  16. 16. Nation Of Resignation
  17. 17. Ein Haus

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11 Kommentare mit 21 Antworten

  • Vor 12 Tagen

    "Aus Keiner Meiner Brücken Die In Asche Liegen Ist Je Ein Phönix Emporgestiegen"

    Leute mit Poesie-Grundkurs mal wieder. Es ist richtig, dass kein Phoenix emporgestiegen ist, weil die Brücke nämlich dann ein Phoenix hätte sein müssen, oder eine fürchterliche Abnormalität, die aus der Kopulation von Phoenix und Brücke entstanden ist. Künstler, kriegt eure Metaphern auf die Kette!

  • Vor 12 Tagen

    Mir tun so Leute wie Mia Morgan und Drangsal manchmal leid, gestrandet im Niemandsland zwischen Kopfgeburt (dieser scheiß Albumtitel!) und ganz groß gemeinter Popgeste - die Zielgruppe dafür ist schon ziemlich spitz.

  • Vor 12 Tagen

    Der Grubermax hätte mal lieber bei Synthie Pop und ausschließlich englischer Sprache bleiben sollen. Das erste Album klang frisch, hat Spaß gemacht und war eine schöne Hommage an die musikalischen Helden der 80er Jahre. Was danach kam ist vollumfänglich von gruseliger Qualität.

    • Vor 12 Tagen

      Das erste Album war zwar vergleichsweise erfolgreich und hat einige Menschen erreicht, aber etwas derivativ ist es schon auch gewesen. Schon logisch, dass er danach nach einer eigenen Handschrift gesucht hat.

    • Vor 10 Tagen

      Bei der Musik gehe ich mit, mit dem LK Englisch- Englisch hat er sich aber weniger einen Gefallen getan. Meine Partnerin (englische Muttersprachlerin) singt auch nach Jahren noch laut und mit Freude Drangsals "holy war / real waa'aa'aar" mit, hat das aber gedanklich neben "hey you, we're gonna make your move. It tastes like the steel like a stab from a knife" von Ace of Base eingeordnet. Da ist es mir dann doch ehrlicher und irgendwie weniger peinlich, wenn sich die Limitation des Ausdrucks in der Muttersprache zeigt.

  • Vor 10 Tagen

    Finde den Albumtitel lustig. Er suggeriert eine Metapher, spiegelt aber in Wirklichkeit die Ablehnung lyrischer Konzepte wider, indem eine Brücke erst gar nicht als existent beschrieben wird, weswegen der Aufstieg eines Phoenix überflüssig aber dennoch erwähnt wird. Die Erwähnung des Phoenix ist ein nettes Trickspiel, um konservativ geneigte Leser in die Irre zu führen, die eine reibungslose "Logik" in der Kunst erwarten, diese aber gar nicht erst verstehen können, weil die Prämisse schon falsch gesetzt wird. Kann mir vorstellen, dass der Künstler einen linken Hausbesetzter-Hintergrund hat und unterstreichen möchte, dass die Kunst das letzte ist, was uns die Konservativen und/oder Reichen bzw. Menschen, die sich gerne über andere mittels sozialen Status erheben, nehmen können. Die völlige Ablehnung der lyrischen Konvention ist die einzige Falle, die wir denen stellen, die glauben, sich für die Armen einzusetzen, in Wirklichkeit aber ständig auf der anderen Seite stehen und sich im Glanze der Kunst sonnen und sich an Anpassung und Regeln aufgeilen, um ihre Heuchelei zu verdrängen. Ich denke, ich werd' mal reinhören ;).

    • Vor 10 Tagen

      ... kurz noch: "die in Asche liegen" könnte sogar bedeuten, dass die Brücke in die Asche durch eine Schizophrenie hineininterpretiert wird und nicht so, wie vermutet, die Brücken eingestürzt sind. Letzteres wird nämlich gar nicht erwähnt, sondern nur der Asche-Zustand durch den Protagonisten beobachtet. Könnte sich auch sogar um eine kollektive Psychose handeln, die davon erzählt, dass Brücken im Grunde nur noch wertlos sind und innerhalb unserer gesamtgesellschaftlichen Überwindungs-Strategien völlige Ineffizienz oder sogar Sinnlosigkeit erfahren.

  • Vor 10 Tagen

    Ich störe mich ehrlich gesagt weniger an der Metapher als am Ignorieren grundlegender Kommaregeln.

    • Vor 10 Tagen

      Ich glaub, das liegt daran, dass der Titel eine Art Eigenname darstellen soll, der ebenfalls Strukturen aufbricht oder anders gesagt: es war ein Jux und dem Künstler völlig wurscht, weil er lustig sein wollte bzw. Aufmerksamkeit generieren, was ihm zumindest hier gelungen ist.

    • Vor 10 Tagen

      Mich nervt eher die Großschreibung jedes Wortanfanges. Passt bei englischen Titeln/Überschriften, aber doch nicht hier.

    • Vor 10 Tagen

      Vielleicht wollte er eine Verbindung zur englischen Lyrik herstellen und mit dem Albumtitel die Umbrauchbarkeit deutscher Poesie im popkulturellen Kontext aufzeigen.

    • Vor 10 Tagen

      Deine Po-Esie würde ich auch mal gerne umbrauchen, Jong! ;)

    • Vor 10 Tagen

      In Deutschland haben wir ja vermehrt das Problem, dass es für ein und den selben Zustand mehrere Wörter gibt. Daher ist die deutsche Lyrik weniger klar und stringent in ihrem Aufbau und vermittelt dadurch eine Beliebigkeit. Im Englischen hat man stets das Gefühl durch einen mittelalterlichen Wald zu traben, umgeben von Nebel, Krähen und abgestumpften Bäumen.

    • Vor 10 Tagen

      ... generell habe ich aber das Gefühl, dass es immer um sexuelle Bedürfnisse geht. Finde, die Romantisierung dieser ist der völlig falsche Schritt. Wir sollten klar benennen, was den Menschen umtreibt: Aufstieg, Macht & Desire.

    • Vor 10 Tagen

      Das Mit Der Großschreibung Kommt Aber Von Laut.De

    • Vor 10 Tagen

      ... ein Beispiel nochmal, um das zu verdeutlichen:
      Es gibt ja so Gefühlsgeneratoren, in die man einträgt, wie man sich gerade fühlt. Das ist zur Visualisierung am Anfang des Tages ganz brauchbar, um den Mitmenschen, denen man am Tag begegnen wird, eine Klarheit zu vermitteln. Im Deutschen wäre das viel zu differenziert hier seine Gefühle einzutragen, allein für das Wort Depressiv gäbe es unzählige weitere Möglichkeiten (Melancholisch, betrübt, traurig, verstimmt, neben sich stehend, melancholisch-betrübt, etc....). Daher wird die deutsche Lyrik etwas belächelt, wie wenn jemand in ein Vorstellungsgespräch kommt und seine Stärken benennen muss, aber ständig rumschwadroniert und relativiert und seine positiven Gefühle, mit denen er in den Tag gestartet ist, nicht mal im Ansatz rüber bringen kann.

    • Vor 10 Tagen

      @Bigebull: Hast Recht, Macht Es Aber Nicht Weniger Annoying (To Put It Into Denglisch)

  • Vor 10 Tagen

    chatgpt, schreibe mir einen titel für ein degenhardt/vandalismus album aber als akademiker...

OSZAR »